Vier Schiffe starten von der Erde mit dem Auftrag, unbewohnte Welten zu finden, die sich zur Gründung menschlicher Kolonien eignen. Eines dieser Schiffe ist die Ikarus, die unter dem Kommando des herrschsüchtigen Colonel Meany steht. Wie die anderen drei befördert auch die Ikarus ein Expeditionsteam, das die notwendigen Vorbereitungen für eine spätere Besiedelung treffen soll.
Eines Tages entdecken sie einen scheinbar unbewohnten Planeten, der sich hervorragend zur Kolonisierung zu eignen scheint. Nach der Landung sind alle hellauf begeistert. Vor ihnen breitet sich eine zwar fremdartig anmutende, aber wundervolle Landschaft aus. Einer allerdings ist verwirrt: Colonel Kavan Summer, der Leiter des militärischen Begleitkommandos. Alles hier kommt ihm vom ersten Moment an merkwürdig vertraut vor. Je weiter sie vordringen, desto mehr Kenntnisse über die örtlichen Gegebenheiten stellen sich bei Summer ein. Aber woher stammt dieses Wissen, über das er eigentlich gar nicht verfügen kann? Einige Zeit später finden sie unter mysteriösen Umständen die Antakanerin Aditi und ein weiteres Rätsel tut sich auf, denn irgendetwas scheint Aditi und Summer zu verbinden.
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Leseprobe
Die Ankunft
Colonel Summer wartete ruhig und gelassen ab, bis sich der Kommandant der Ikarus ausgetobt hatte. Major Toben sah betreten zu Boden, aber in ihm brodelte es. Er bewunderte Summer für dessen Gelassenheit. Die ebenfalls anwesende Dr. Fields stellte sich zum wiederholten Male die Frage, warum ausgerechnet ein Mann wie Meany einen solchen Posten erhalten hatte. Es war nicht die erste Entgleisung, die dieser sich leistete. Die kurzen Besprechungen, die die vier vor jedem Erkundungstrip abhielten, gipfelten stets in Meanys Versuch, das Kommando über das Begleitteam zu übernehmen. Allerdings steigerte sich seine Lautstärke ein ums andere Mal. Dieser Mann ging Fields mächtig auf die Nerven. Sie sehnte sich danach, endlich den vielversprechenden Planeten unter ihnen zu erforschen.
Als Colonel Meany zwischendurch Luft holte, beendete Summer diese unerquickliche Zusammenkunft, indem er ruhig, aber bestimmt sagte: „Colonel, mit allem nötigen Respekt, Sie sollten endlich akzeptieren, dass ich der Leiter des Begleitkommandos bin! Wir haben alles Notwendige für den anstehenden Erkundungstrip besprochen und sollten aufbrechen. Wenn Sie uns also jetzt bitte entschuldigen würden, Dr. Fields und ich werden auf dem Hangardeck erwartet!“
Summer nickte der Leiterin des wissenschaftlichen Teams zu und die beiden verließen den Bereitschaftsraum des Kommandanten. Schweigend durchquerten sie die Brücke und erst als sie im Aufzug standen fragte Dr. Fields: „Verzeihen Sie, wenn ich das so unverblümt anspreche, aber wie um alles in der Welt hat dieser Mann das Kommando über die Ikarus erhalten?“ Kavan Summer sah Joana Fields nur schweigend an und schüttelte dann leicht den Kopf. „Verstehe“, meinte die Biologin und ließ es dabei bewenden.
Ihre Reise dauerte nun schon fast ein Jahr, was natürlich allen genügend Gelegenheit gegeben hatte, einander kennenzulernen. Ihr Auftrag lautete, möglichst mehrere bewohnbare Planeten zu finden und sich auf einem davon niederzulassen, während die Ikarus zur Erde zurückkehren und die Berichte der Expeditionsteilnehmer abliefern würde. Zu allen infrage kommenden Planeten würden dann Freiwillige gebracht, um Kolonien zu gründen. Joana Fields war heilfroh, dass man ihr Summer und nicht jemanden wie Meany als Leiter des militärischen Begleitteams zugeteilt hatte. Von der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit der beiden Teams, allen voran natürlich deren Leitern, hing unter Umständen das Überleben aller ab. Darüber waren sich sowohl Fields als auch Summer im Klaren und sorgten dafür, dass die immer mal wieder zwischen einzelnen Teammitgliedern auftretenden Unstimmigkeiten sofort geklärt wurden.
Nachdem Summer und Fields den Raum verlassen hatten, herrschte dort eisiges Schweigen. Meany musste erst einmal verdauen, dass er wieder eine Schlappe hatte einstecken müssen. Sekunden vergingen, in denen keiner der beiden zurückgebliebenen Männer etwas sagte. Dann fixierte der Colonel seinen Stellvertreter mit zusammengekniffenen Augen und schnauzte ihn unvermittelt an: „Was machen Sie eigentlich noch hier?! Verschwinden Sie!“ Wortlos verließ Frank Toben den Raum. Als er die Brücke betrat, versuchten alle Anwesenden, krampfhaft auf ihre Stationen zu starren, aber einigen gelang das nicht wirklich und sie warfen ihm verstohlene Blicke zu. Sicheres Zeichen dafür, dass das Wüten ihres Kommandanten bis hierher zu hören gewesen war. Der Major ließ sich in seinen Sitz fallen und auch er fragte sich nicht zum ersten Mal, warum die Admiralität Colonel Meany das Kommando über die Ikarus gegeben hatte. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Toben ahnte nicht, wie nah er damit an der Wahrheit lag.
Meany war ein sehr ehrgeiziger Mann, der keine Gelegenheit ausließ, die ihm zum eigenen Vorteil gereichte. Er sorgte schon dafür, dass ihm etliche Leute einen Gefallen schuldeten, den er bei passender Gelegenheit dann einforderte. Als nun diese Expeditionen geplant wurden, war ihm sofort klar, dass dem Kommandeur des Begleitteams Anerkennung und beruflicher Aufstieg winkten. Schon zweimal war Meany bei Beförderungen übergangen worden, aber das sollte sich jetzt ändern, das schwor er sich. Schnurstracks eilte er zu Admiral Dorner, dessen Sohn vor kurzem in eine Rauschgift-sache verwickelt gewesen war. Dank Meanys „Kontakten“ zu Polizei und Staatsanwaltschaft hatte man die Ermittlungen gegen den jungen Mann fallen gelassen. Jetzt war es an der Zeit, dass Dorner sich dafür revanchierte, befand Meany.
Nachdem der Colonel ihm sein Anliegen vorgetragen hatte, sagte Dorner ausweichend: „Ich werde sehen, was sich da machen lässt. Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“
Ein gehässiges Grinsen erschien auf Meanys Gesicht, als er entgegnete: „Sie sollten besser dafür sorgen, dass es klappt! Ihrem Sohn geht es doch gut, oder?“
„Kommen Sie morgen früh wieder hierher, dann kann ich Ihnen mehr sagen“, antwortete der Admiral gepresst. Er ahnte, dass es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein würde, Meanys Berufung durchzusetzen. Auch er selber hätte niemals von sich aus daran gedacht, diesem Mann ein solches Kommando zu übertragen.
Zwei Stunden später machte sich Dorner auf den Weg zur Beratung der Admiralität, in der die letzten noch vakanten Posten besetzt werden sollten. Als er jedoch den Vorschlag unterbreitete, Meany zum Leiter eines Begleitteams zu machen, erntete er von allen Anwesenden nur Kopfschütteln.
Admiral Hays brachte es auf den Punkt, indem er sagte: „Robert, dieser Mann ist untragbar in einer solchen Position. Die Wissenschaftler und das sie begleitende Militär müssen zu einer Einheit verschmelzen und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Das setzt vor allen Dingen voraus, dass die jeweiligen Leiter teamfähig sind. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass diese Eigenschaft ganz gewiss nicht zu Meanys Stärken gehört. Was noch sehr freundlich ausgedrückt ist, wenn ich mir die persönliche Bemerkung erlauben darf. Dieser Mann kann kein solches Team leiten.“
Admiral Dorner brauchte bloß in die Gesichter der anderen Anwesenden zu schauen, um zu erkennen, dass alle der gleichen Meinung waren. Es wäre wohl völlig sinnlos, wollte er auf seinem Anliegen bestehen. Seine Gedanken rasten. Er konnte unmöglich mit leeren Händen dastehen, wenn Meany morgen bei ihm aufkreuzte. Plötzlich kam ihm der rettende Gedanke und er schlug vor: „Geben wir Meany das Kommando über die Ikarus! Diese Position muss schließlich auch noch besetzt werden.“
Hays sah seinen langjährigen Freund einige Minuten wortlos an, nickte dann aber. Etwas zögerlich stimmten auch die anderen zu. Als Dorner am nächsten Tag den Colonel von seiner Ernennung zum Kommandanten der Ikarus unterrichtete, schäumte dieser vor Wut. „Sie dämlicher Idiot! Glauben Sie wirklich, ich lasse mich damit abspeisen?“
Admiral Dorner war auf eine solche Reaktion gefasst gewesen und hatte versucht, sich einigermaßen dagegen zu wappnen. Es gelang ihm tatsächlich, in ruhigem Ton zu sagen: „Mehr konnte ich leider nicht für Sie tun. Sie müssen selber entscheiden, ob Sie das angebotene Kommando übernehmen wollen oder nicht.“
Innerlich grollend starrte Meany den Admiral geraume Zeit an, verließ dann aber wort- und grußlos dessen Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Auf der Reise versuchte der Colonel dann, die begehrte Position doch noch zu ergattern, hielt er Summer doch für schwach und völlig ungeeignet, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Umso überraschter war Meany, als er an dessen Selbstbewusstsein und Gelassenheit scheiterte. Anstatt nun einfach die Sache auf sich beruhen zu lassen, versuchte Meany weiterhin, die Leitung des Begleitkommandos zu übernehmen und je öfter er scheiterte, desto wütender wurde er.
Kavan Summer hingegen war ein ganz anderer Mensch als Meany. Was Meany irrigerweise als Schwäche und Unfähigkeit auslegte, genau das war Summers Stärke und zeichnete ihn aus. Zudem brachte es ihm so manche Belobigung und Beförderung ein, ohne dass er wirklich danach gestrebt hatte. Als Kavan nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung zur Flotte ging, galt sein Interesse vor allem dem Kennenlernen fremder Spezies und deren Kulturen. Im Laufe der Zeit eignete er sich außergewöhnlich fundierte Kenntnisse über die Eigenarten außerirdischer Zivilisationen an, was des Öfteren dazu beitrug, Konflikte zu vermeiden. Fachkenntnisse, eine ausgezeichnete Allgemeinbildung und eine bemerkenswerte Charakterstärke rundeten das Bild dieses Mannes ab und brachten ihm allseits Respekt und Anerkennung ein. Als es dann soweit war, stand Summer ganz oben auf der Liste der Personen, die als Leiter der jeweiligen Begleitkommandos infrage kamen.
Fields und Summer waren inzwischen auf dem Hangardeck angekommen und begaben sich an Bord der Discovery, einer kleineren Ausgabe der Ikarus. Dieses Schiff war extra für die Exkursionen zu den fremden Planeten gebaut worden. Es war groß genug für den Transport der dreißig Expeditionsteilnehmer und ihrer Ausrüstung, zu der auch zwei Geländefahrzeuge gehörten. Außerdem würde das Schiff in der ersten Zeit als Unterkunft dienen, nachdem sie sich irgendwo niedergelassen hatten. Summer sah sich kurz um, stellte fest, dass alle anwesend waren, und gab dem Piloten den Befehl zu starten. Dr. Fields ließ sich erleichtert in ihren Sitz fallen und hoffte inständig, dass diese Welt das hielt, was sie den Scans aus dem Orbit nach versprach. Vor etwa einer Stunde waren sie hier eingetroffen und als sich Joana die Resultate der Orbitalscans ansah, konnte sie die Aufregung und Freude der anderen Wissenschaftler verstehen. Die atmosphärischen Bedingungen entsprachen in etwa denen auf der Erde. Zwar war der Planet unter ihnen hauptsächlich mit Wasser bedeckt, aber es gab auch eine Landmasse, die groß genug war, um dort eine Kolonie aufzubauen. Dichte Wälder wechselten sich mit ausgedehnten Ebenen ab und etliche Flüsse durchzogen den Kontinent, den an einer Seite ein gewaltiges Gebirgsmassiv begrenzte.
Nachdem sie in die Atmosphäre eingetaucht waren und in Sichtweite des Bodens flogen, blickten alle fasziniert auf die Landschaft, die unter ihnen dahinglitt. Hier schien ein Maler im Farbenrausch am Werk gewesen zu sein. Wohin man blickte, sah man Rottöne. Nur einige wenige grüne Flecken durchbrachen die diversen roten Nuancen. Sie überflogen einen schmalen Waldgürtel und die Farben, die ihnen entgegenleuchteten, kannten sie bisher nur vom Indian Summer auf der Erde. Das Blätterkleid der Bäume wies vom leuchtenden Orange bis zum dunklen Rot alle Schattierungen auf. Durch die Ebene, die nun in Sicht kam, schlängelte sich einer der Flüsse und der Pilot ließ das Schiff in Ufernähe sanft aufsetzen. Sie stiegen aus und genossen für einen Augenblick die wärmenden Sonnenstrahlen. Colonel Summer allerdings blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um, runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. Joana, die ihn beobachtete, hatte diesen Gesichtsausdruck bereits während des Anflugs bei ihm bemerkt. Sie wollte Summer gerade darauf ansprechen, als der Colonel seine Leute anwies, sich im Gelände zu verteilen und die Umgebung zu sichern. Schon schwirrten auch die Wissenschaftler aus, um ihre Proben zu nehmen. Fields ließ die Angelegenheit also vorerst auf sich beruhen und betrachtete stattdessen die Umgebung genauer. Die Ebene, auf der sie jetzt standen, war mit saftigem rotbraunem Gras und bunten Blumen be-wachsen. Joana drehte sich um und ging zum Fluss, der träge unter leisem Rauschen dahinfloss. An seinen Ufern wuchsen Büsche und Sträucher, von denen einige tatsächlich das vertraute Grün aufwiesen. Insekten schwirrten scharenweise nahe der Wasseroberfläche. Plötzlich schnellte ein ungefähr ein Meter großer Fisch aus dem Wasser, dessen Schuppen in der Sonne bunt schimmerten, und ließ sich mit einem lauten Platschen wieder zurückfallen in die Fluten. Einige Meter weiter wiederholte sich das Schauspiel, als ein großer Schatten auf die Wasseroberfläche fiel und ein riesiger Greifvogel blitzschnell hinabstieß. Noch bevor der Fisch in die sicheren Fluten eintauchen konnte, schlugen sich die riesigen Klauen des Greifs in sein Fleisch. Mit einigen Schlägen seiner enormen Flügel, die Joana auf etwa fünf Meter Spannweite schätzte, flog der Raubvogel mitsamt Beute davon. Gedankenverloren ließ die Biologin ihren Blick flussaufwärts schweifen und machte in der Ferne das Gebirge aus, als Colonel Summer neben sie trat und sagte: „Ihre Kollegen sind fertig. Wollen wir dann, Doc?“
Joana nickte und beide gingen zurück zum Schiff.
„Ich bin schon sehr gespannt darauf, was wir hier noch alles entdecken“, bemerkte Fields.
„Und ich erst“, murmelte Summer in einem seltsamen Tonfall ganz leise vor sich hin, aber die Biologin hatte es dennoch gehört und fragte: „Colonel, stimmt etwas nicht?“ Noch bevor sie ihn auf sein vorheriges Verhalten ansprechen konnte, erwiderte er: „Nein, nein. Es ist alles in Ordnung“ und eilte zu den anderen.
Die Wissenschaftler hatten unterdessen ihre Proben sicher im Schiff verstaut. Später würden sie sie auswerten, aber zunächst wollten alle diese fremde faszinierende Welt näher erkunden. Sie gingen zu dem Waldgürtel hinüber, den sie eben überflogen hatten. Als sie den Forst betraten, umfing sie ein diffuses orangefarbenes Licht. Wie ein Schleier hing es zwischen den Baumriesen, von denen die meisten so hoch waren, dass man nicht einmal mehr ihre Baumkronen sah. Staunend blieb die Gruppe stehen und ließ die Umgebung auf sich wirken. Die Geräusche, die zu ihnen herunterschallten, ließen allerdings erkennen, dass die oberen Etagen von zahlreichen Tieren bewohnt wurden. In den sichtbaren Regionen schwangen sich kleine Primaten von Ast zu Ast. Einige machten es sich in Astgabelungen bequem, indem sie sich darin zusammenrollten. Aus diesen senffarbenen Fellknäueln blickten wachsame Augenpaare hinunter zu den Neuankömmlingen. Überall schwirrten bunt gefiederte Vögel und in allen Regenbogenfarben schillernde Insekten umher und auch zu ihren Füßen war es recht lebendig. Kleingetier kroch und krabbelte eilig unter Steine und Laub oder buddelte sich ins Erdreich. Auch die Büsche und Sträucher leuchteten wie die Bäume in sanften roten Nuancen. Lediglich ein paar der Farne und Moose, die auf dem Waldboden prächtig gediehen, bildeten kleine grüne Inseln in diesem Meer von Rottönen.
„Ich bin beeindruckt! Das sieht ja aus wie ein Zauberwald. Es würde mich nicht wundern, wenn plötzlich eine Elfe hinter einem der Bäume hervorschwebt“, ließ sich die sonst eher nüchtern denkende Joana Fields vernehmen.
„Und da sage noch einer, wir Biologen hätten keine Phantasie“, scherzte Dr. Benson. Der Mediziner und Exobiologe der Expedition war neben Joana getreten und stupste sie sanft mit dem Ellbogen an.
„Also Elfen gibt es hier keine, aber dafür Raubtiere. Also bleiben Sie bitte alle zusammen“, bemerkte Summer.
Fields runzelte leicht die Stirn und fragte: „Sie meinen wohl, vermutlich gibt es hier auch Raubtiere?“
„Na, das sagte ich doch“, antworte Kavan prompt.
Noch ehe die Biologin etwas erwidern konnte, erklang ein markerschütternder Schrei, gefolgt von einem entsetzten Quieken und dem Splittern von Holz. Unweit ihrer Gruppe brach plötzlich ein seltsam anmutendes Tier aus dem Unterholz hervor. Das Gesicht erinnerte an ein irdisches Wildschwein, aber statt der Borsten verfügte dieses Geschöpf hier über ein langes zotteliges Fell, das fast bis zum Boden reichte. Im Zick-Zack-Kurs preschte das Tier an ihnen vorbei. Sekunden später kam auch der Verfolger aus dem Gebüsch gesprungen: eine große Raubkatze, die sicherlich ein Stockmaß von gut einem Meter aufwies.
„Wow, das sieht ja fast aus wie ein Säbelzahntiger“, flüsterte Benson.
„In der Tat“, ließ sich Joana genau so leise vernehmen. Erst als die beiden Tiere ein gutes Stück entfernt waren, wandte sie sich wieder an Summer und meinte: „Colonel, was ist eigentlich los? Seit wir hier gelandet sind, verhalten Sie sich etwas merkwürdig. Nein, ich korrigiere mich. Das fing schon während des Anflugs auf den Planeten an. Und sagen Sie jetzt bitte nicht, ich würde mich irren. Dafür kenne ich Sie inzwischen zu gut.“
Kavan holte tief Luft, ließ sie dann aber ganz ehrlich wissen: „Sie haben recht. Allerdings weiß ich nicht, wie ich das erklären soll, ohne dass Sie mich für verrückt halten. Schon während des Überflugs kam mir alles hier so vertraut vor. Und seit wir gelandet sind, habe ich das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein.“ Fields setzte zu einer Erwiderung an, aber Summer hob abwehrend die Hände und fuhr fort: „Ich weiß, das ist unmöglich.“
„Zunächst einmal: Niemand von uns würde jemals Ihren Verstand anzweifeln. Das Ganze ist zwar ziemlich rätselhaft, aber es wird sicherlich eine einfache und logische Erklärung dafür geben. Wir müssen sie nur finden“, erklärte Joana und erntete dafür allgemeine Zustimmung.
Summer seufzte erleichtert und meinte: „Da kann ich nur sagen, vielen Dank für Ihr Vertrauen. Wollen wir weitergehen?“
Jäh und völlig unerwartet blitzten Bilder einer Stadt in seinem Geist auf, nur kurze Sequenzen, die genauso schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren. Und als hätte diese Erkenntnis schon immer in ihm geschlummert, wurde ihm dann auch schlagartig bewusst, wo diese Stadt lag und wie sie zu finden war! Mit einer entsprechenden Handbewegung sagte Kavan: „Die Stadt liegt in dieser Richtung.“
Völlig verblüfft sahen ihn alle an und Carl Benson sprach aus, was auch die anderen dachten: „Aber es gibt hier keine Stadt. Weder beim Orbitalscan noch beim Überflug eben haben wir Anzeichen für eine Zivilisation gefunden.“
„Ich weiß, Doc. Aber diese Stadt existiert, bitte glauben Sie mir“, erwiderte Kavan.
„Also schön, dann führen Sie uns bitte dorthin“, entschied Dr. Fields nach kurzer Überlegung und sah den Colonel auffordernd an.
Sie machten sich wieder auf den Weg und gingen in die von Summer angezeigte Richtung. Ihre Augen hatten sich mittlerweile an das diffuse orangefarbene Licht gewöhnt und sie sahen sich interessiert nach allen Seiten um, als sie immer tiefer in den Wald eindrangen, begleitet vom Konzert der Tiere. In weiter Ferne hörten sie ab und zu das Fauchen einer Raubkatze oder ein Quieken, das langsam immer leiser wurde und schließlich völlig erstarb – sicheres Zeichen dafür, dass die Jagd erfolgreich verlaufen war. Neugierige kleine Paradiesvögel umschwirrten die Gruppe und beäugten sie von allen Seiten, entschieden aber irgendwann, dass die Menschen uninteressant waren. Die Flora hier war wirklich einzigartig. Neben wenigen grünen Pflanzen herrschte tatsächlich überall die Farbe Rot vor. Wie zuvor beim Betreten des Waldes, huschten auch jetzt immer wieder Kleinstlebewesen vor ihnen davon und suchten sich einen Unterschlupf, um diese seltsamen Eindringlinge in ihr Territorium erst einmal in aller Ruhe aus einem sicheren Versteck heraus beäugen zu können.
Carl stieß die neben ihm gehende Joana sanft an und sagte: „Sieh dir diesen Pilz an. Wenn der essbar ist, braucht man nur einen einzigen, um eine Mahlzeit für die ganze Mannschaft daraus zu kochen.“ Dabei wies er auf ein Gewächs, das tatsächlich wie ein Pilz aussah, aber die stattliche Größe von über einem Meter aufwies. Benson verließ die Gruppe, um eine Probe zu nehmen. Er war noch keine fünf Schritte darauf zugegangen, als plötzlich Bewegung in den vermeintlichen Pilz kam. Er hob sich ein wenig an und zwei kurze stämmige Beine wurden sichtbar, auf denen er in atemberaubendem Tempo davonrannte. Überrascht und konsterniert blieb der Arzt stehen, brach dann aber in schallendes Gelächter aus, in das auch alle anderen einstimmten. „Na gut, heute gibt es wohl keine Pilzsuppe“, frotzelte Carl.
„Scheint ja ein Paradies für Biologen zu sein, bei der Unmenge an merkwürdigen Geschöpfen“, witzelte Major Hillers, Summers Stellvertreter, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte.
Er hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als sich aus einem nahen Gebüsch eine stattliche Erscheinung schlängelte. Auf einem ungefähr drei Meter langen Schlangenkörper saß ein Kopf, der frappierende Ähnlichkeit mit einem der Drachen hatte, die man auf der Erde aus Märchen und Sagen kannte. Die Stirn zierte ein dunkler ovaler Fleck und die Haut schimmerte in einem samtenen Hellgrau. Unwillkürlich waren alle einen Schritt zurückgetreten. Alle bis auf Summer! Der blieb wie angewurzelt stehen und starrte das Geschöpf an. Dieses hielt inne, hob majestätisch den Kopf um einige Zentimeter an und musterte kurz die Umgebung. In aller Ruhe ließ es sich dann wieder auf den Boden sinken und setzte langsam seinen Weg fort. In die Gruppe kam jetzt wieder Bewegung. Summer allerdings stand immer noch reglos da und starrte auf die Stelle, an der die Schlange im Unterholz verschwunden war.
Fields trat neben ihn und sagte fragend: „Colonel?“
Jetzt endlich rührte sich auch Kavan und bemerkte kopfschüttelnd: „Alles in Ordnung. Nur noch ein Rätsel mehr, aber davon erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Immer schön eins nach dem anderen. Lassen Sie uns bitte weitergehen.“
Fields klopfte ihm beruhigend auf die Schulter und dann setzten sie ihren Weg fort. Sie nahmen noch etliche Proben der exotischen Gewächse, und zwar ohne dass diese vor ihnen davonliefen.
Nach gut drei Stunden Marsch erreichten sie den Rand des Waldes. Vor ihnen tat sich eine Ebene auf, die vorwiegend mit Geröll und Sand bedeckt war. Nur vereinzelt wuchsen zwischen den Steinen rotbraune Gräser und kleine bunte Blumen. Eine leichte Brise war aufgekommen und mit dem Rauschen der Bäume erklangen leise die Worte: „Er ist da! Er ist angekommen!“
„Hab ich Halluzinationen oder habt ihr das auch gehört?“, fragte Carl Benson. Als alle bestätigend nickten, sah der Arzt hinüber zu Summer. „Kavan, könnte es sein, dass Sie hier erwartet werden?“
Der so Angesprochene sah sich nach allen Seiten um, konnte aber keine fremden Wesen entdecken. Ein kleiner Seufzer entrang sich seinen Lippen, bevor er erklärte: „Wenn ich das nur wüsste, Doc, dann wäre mir wohler.“
„Ja, ja, wenn ich die Herren mal unterbrechen dürfte“, mischte sich jetzt Dr. Fire ein. „Wo ist denn nun diese Stadt, die Sie uns zeigen wollten?“
„Sie liegt direkt vor uns!“, entgegnete Kavan.
„Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Colonel, aber hier gibt es nichts außer Geröll und Sand. Na ja, ein paar Pflanzen noch, aber …“
Ohne den Rest von Fires Ausführungen abzuwarten, stiefelte Summer auf die Ebene hinaus und blieb nach einigen Metern stehen. Er hob den rechten Arm und schien mit der Handfläche eine unsichtbare Mauer zu berühren. Als hätte jemand einen Schleier gelüftet, tat sich unvermittelt ein breiter Spalt auf. Verblüfft starrten alle auf die Gebäude, die quasi aus dem Nichts erschienen.
Wilson Fire trat neben Summer und meinte: „Ich entschuldige mich. Aber ehrlich Mann, Sie haben es echt drauf, einen zu überraschen.“
Summer grinste und erklärte: „Schon gut, ich hätte Ihnen wohl sagen sollen, dass die Stadt unter einem Tarnschild verborgen ist.“
„Ein Tarnschild? Das müssen Sie mir genauer erklären“, erwiderte Fire. Der Astrophysiker schaute Kavan erwartungsvoll an.
„Später Wilson, später“, ließ sich jetzt Joana vernehmen, die hinter die beiden getreten war. „Spricht irgendwas dagegen, dass wir uns diese Stadt näher anschauen?“, fragte sie dann.
Kavan lachte leicht und meinte: „Nein, nicht das ich wüsste. Bitte nach Ihnen. Ich habe so ein Gefühl, dass wir der Lösung meines Rätsels in dieser Stadt ein gutes Stück näher kommen werden.“
Summer ließ allen den Vortritt und nachdem auch er durch den Spalt geschlüpft war, verschloss Kavan diesen wieder mit der gleichen Handbewegung, mit der er ihn zuvor geöffnet hatte.